Galerie               Dreikang



Juni 2008
Gesendet am 27.06.08 um 07.10
„Radio Jaroslawl“ (Gebietsradio) auf der Wellenlänge von
„Radio Russland“, Sendung Diapason

Vor einem Jahr hat eine Reisegruppe Maya Kalzen ins Rostover Land geführt. Die in Deutschland lebende Engländerin interessierte sich für Denkmäler, Museen und orthodoxe Heiligtümer – also für Geschichtliches in all seinen Erscheinungsformen.

Deshalb konnte sie auch nicht gleichgültig an den Ausgrabungen vorbeigehen, die dort im Gange waren. Und so wollte das Glück es so, dass sich gerade zu dieser Zeit der Vorsteher der Kosmo-Damiankirche und Chefredakteur der Zeitschrift „Jaroslawer Diozösennachrichten“, Priester Alexander Parfenov, dort befand. Dieser hatte der Ausländerin Adressen in Rostov genannt, die unbedingt zu besichtigen seien. Er wies ihr auch den Weg zum ganz in der Nähe des Ausgrabungsorts gelegenen Haus der Kunst „Chors“.

Das Ensemble am See gelegen, mit den erhabenen Mauern des Kremls im Hintergrund den altertümlichen Häusern, hat die Touristin begeistert. In der Tat ist die private Galerie, das Hausmuseum und der private Garten der Familie Selischtschew gemütlich und malerisch in jeder Hinsicht – da sind ausländische Gäste und russische Besucher der einhelligen Meinung – eine paradiesische Oase, „Das ist fantastisch“, „C’est magnifique“! Begeistert von allem, was sie sah, und bezaubert von den Werken des Künstlers Michail Selischtschev, der in der Heißemailletechnik arbeitet, kehrte Maya Kalzen nach Deutschland wieder heim. Dort konnte sie nicht anders als ihre Eindrücke aus Russland mit Nina Geling, der Eigentümerin einer privaten Galerie in Hann. Münden, Niedersachsen, zu teilen.

Den Faden dieser Geschichte hat mir Nina Geling selbst bei einem persönlichen Gespräche am 24. Juni d. J. weitergesponnen. Die ehemaliger Moskauerin zusammen mit ihrem Ehemann, dem Bildhauer Ekkahart Bouchon, fördert in Deutschland russische Kunst – in Moskau knüpfen die beiden Vertreter der deutschen Diaspora Kontakte mit Künstlern der historischen Heimat. Sie erheben hohe Ansprüche an diejenigen, die in ihrer Galerie ausstellen und ohne die Empfehlung bekannter russischer Galeristen laden sie keinen Künstler ein. Aber die Erzählung von Maya Kalzen hat ihre Seele berührt und Nina suchte die Webseite von „Chors“ auf. „Ich habe mich sofort mit Michail in Verbindung gesetzt, erzählt Nina Geling, und habe ihn zu uns eingeladen.“

Im Spätherbst des vergangenen Jahres fuhr Michail Selischtschew nach Hann. Münden, wo er nicht nur seine Werke ausstellte, sondern auch Meisterklassen durchführte.

Um neue Erfahrungen zu sammeln und seine künstlerische Horizonte auf bisher unbekannten Wegen zu erweitern, ist das Ehepaar jetzt nach Rostov gekommen, ins Haus der Kunst „Chors“, wo in diesen Tagen das 11. Internationale Emaillesymposium stattfindet, das bis zum 03. Juli dauert. Ekkahart Bouchon, Holzbildhauer, hat sich von der Symbiose von Emaille mit verschiedenen anderen Materialien begeistern lassen. Nina Geling versucht in ihren Werken, Emaille mit Akryl zu verbinden. Künstler aus Tscherepovitz, Sankt Petersburg, Pjatigorsk, Jaroslawl, Deutschland und England arbeiten hier selbständig oder in der Gruppe, mal unter freiem Himmel, mal im Atelier. Sie schätzen und übernehmen gegenseitig die Erfahrung der anderen und tauchen für 10 Tage in die schöpferische Arbeit ein. Seite an Seite mit anderen zu arbeiten, die von einer Sache begeistert sind, ist eine einmalige und wohltuende Erfahrung.

Margarita Isotova, Mitglied des Künstlerverbandes, Kunstexperte, Leiterin des Ateliers „Guter Wille“, eines der Kulturzentren Sankt Peterburgs und Organisatorin (in Zusammenarbeit mit ihrem Mann, dem Bildhauer Dobrowolskij) der Bewegung „Seele Russlands“ erzählt auch ihre Geschichte.

Seit den 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als sie eine Reisereklame für die Städte des „Goldenen Rings“ sah, faszinierte Margarita Isotova aus Sankt Petersburg ein Bild von der, auch im übertragenen Sinne, im Gold versunkenen Stadt. Die Situation bedrückte die Künstlerin: Der Ruhm des Rostover Emailleschmucks, des Glockengeläuts sollte einen entsprechenden Status nicht nur auf dem Papier, sondern auch faktisch erhalten.

Eine schlaflose Nacht bescherte ihr einen aus ihrer Sicht fantastischen Plan, der der Stadt zum Wachstum und Aufblühen verhelfen könnte. Auf den Gedanken brachte sie eine Information über die meterdicke Schlammschicht im Rostover See.

„Wissen Sie, Ägypten entwickelte sich als Zivilisation dank dem Schlamm. Vielleicht wäre es auch in Rostov möglich, eine Rohrleitung in den See herabzulassen und von dort die Mittel für ein besseres Leben zu fördern“.

Die Probleme von Rostov sind den bereits erwähnten Deutschen nur zu gut bekannt. Deren Heimatstadt Hann. Münden ist gerade 825 Jahre alt geworden. Im Jahre 1954 fingen Ruinen an, das Gesicht der altertümlichen Stadt zu beeinträchtigen und die Ortsregierung hatte sogar beschlossen, alle alte Häuser abzureissen. Zum Glück siegte die Bevölkerung, und damit auch der Vernunft. Heute ist die Stadt stolz auf ihre Geschichte und lebt von den erhaltenen Mauern. Der berühmte deutsche Geograf und Forschungsreisende Alexander von Humboldt, der 1818 ausländisches Ehrenmitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften wurde, zählte Hann. Münden zu den sieben schönsten Städten der Welt.

„Rostov ist die Achte in der Reihe“ – zollte Dr. Manfred Albrecht großzügig Tribut unseren Denkmälern und unserer Gastfreundschaft.

Nina Geling stellte den Familienfreund, Dr. Albrecht, als Menschen vor, der als Künstlergeist geboren wurde. Ein Schreibblock ist sein ständiger Begleiter, in dem er unentwegt Notizen und Skizzen macht. Manfred hat auch versucht, in Emailletechnik zu arbeiten. Seitdem er in Ruhestand getreten ist, versucht er, der kreativen Tätigkeit mehr Zeit zu widmen, wobei er sich auch für das Wohl seiner Heimatstadt engagiert. Er hat in der Vergangenheit den Umweltausschuss geleitet und ist jetzt Mitglied des Stadtrats. Als er merkte, dass die nur 22 km von Hann. Münden entfernt gelegene Stadt Kassel Partnerstadt von Jaroslavl ist, wollte Dr. Albrecht mit der Stadtobrigkeit zusammentreffen, um die Partnerbeziehungen zu erörtern. Das ist auch gelungen: Zu einem Treffen mit den Teilnehmern des Symposiums kam auch der Vorsitzende des Stadtrats, der Rostover Duma-Abgeordnete Konstantin Schevkopljas.

Und so, scheint es, erhielt die spontane Begegnung einer in Deutschland lebenden Engländerin in unserer Stadt ihre Fortsetzung. Ich hoffe, dass sich diese Begebenheiten zu partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Rostov und Hann. Münden weiterentwickeln werden.

Und die Bekanntschaften, die beim Symposium dieser Tage geschlossen wurden, bestätigen wieder einmal, wie engverflochten unsere Welt ist.

Marina Pol’schina-Mal’zeva, die aus Pjatigorsk nach Rostov gekommen ist, ist eine Emaillekünstlerin mit einer fundierten professionellen Ausbildung. Als Bewohnerin des Kaukasus, wo östliche Motive sowohl im Alltag als auch in der Natur überwiegen, hat sie sich der Freude der Einbeziehung von echt russischen Wurzeln und Quellen hingegeben, die im alten Rostov im Überfluss vorhanden sind.

Die reizende junge Dame hat eine Ausstrahlung, die nicht nur von der Vergeistigung des schöpferisch arbeitenden Künstlers geprägt ist, sondern auch von einem höheren inneren Wert.

Dem erfahrenen Auge von Manfred Albrecht war ihr Geheimnis nicht zu verkennen. Als er dann das Buch sah, das sie ständig mit sich trug, wurde sein Verdacht bestätigt, das die Frau in Erwartung eines Kindes befand. Wie der Zufall es wollte, stellte sich heraus, dass die Bewohnerin der Region Stavropol (Russland) das Buch „Alles über die Schwangerschaft und die Geburt“ per Post bestellt hatte, dessen Autor Dr. Albrecht war.

Der „Künstlergeist“ hatte seinerzeit einen eher bodenständigen als künstlerischen Beruf gewählt – er war Gynäkologe geworden. In seiner beruflichen Karriere war er auch erfolgreich und genoss breite Anerkennung. Das Buch war in seiner Heimat 12 Mal aufgelegt worden. In der kurzen Unterhaltung, die dem Treffen mit den örtlichen Würdenträgern vorausging, teilte ich mit, dass Rostov einen Zuschuss zur Verbesserung der demografischen Lage gewonnen hat und ein Buch erschienen ist, das ich hoffe, dem deutschen Doktor von unseren Medizinern überreicht wird.

Ich bin überzeugt, dass die Freundschaft, die beim 11. Internationalen Emaille-Symposium im Haus „Chors“ zwischen den Künstlern Marina Pol’schine-Mal’zeva aus dem Kaukasus und Manfred Albrecht aus Deutschland geknüpft wurde, weitergehen wird.

Marina hat natürlich die Einladung abgelehnt, zur Geburt nach Deutschland zu reisen. Ein solch wichtiges Ereignis, findet sie, muss zu Hause stattfinden.